Von Krisen & Chancen – Das Möbelkollektiv im Gespräch mit curt

[Auch zu lesen in der aktuellen Ausgabe curt #247]

Vieles steht derzeit Kopf. Veränderung scheint die einzige Konstante. Das birgt viele Herausforderungen, aber auch viele Chancen. Dazu gehört auch, Arbeit ganz neu zu denken, ganz anders zu denken. Und sich zu überlegen, wie und wo wir zukünftig arbeiten wollen. Auch curt ist mittendrin in diesem Prozess.

Thomas Dormann vom Möbelkollektiv und Lampe, curt Chefredakteur, plaudern über New Work, Nähe, Neues und Pläne der Büro/Arbeits-(Um)gestaltung.

Ein Interview von Nora Beyer

Nora: UmGESTALTEN. Da steckt ja immer Veränderung drin. Etwas, womit ihr beide derzeit viel zu tun habt. Thomas, ihr vom Möbelkollektiv macht das beruflich. Ihr gestaltet lebenswerte Arbeitsorte. Und, Lampe, durch den pandemiebedingten Event- und Kultur-Lockdown habt ihr bei curt auch in neue Richtungen denken müssen. Was ist derzeit für euch die größte Veränderung?

Thomas: Die größte Veränderung für uns ist einerseits die Distanz, die wir derzeit mit Leuten haben, die wir eigentlich lieber näher bei uns hätten. Wir haben normalerweise viele Veranstaltungen, bei denen wir in Interaktion treten. Die fallen derzeit weg. Wir stellen gleichzeitig fest, dass der Face-to-Face-Bedarf, sich persönlich zu treffen und auszutauschen, steigt. Bei uns im Kollektiv-Büro kann der, unter den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, zum Glück noch gut stattfinden, aber unsere Events fehlen uns natürlich.

Lampe: Bei mir ist es sehr wichtig, dass ich ständig mein Netzwerk erweitere. Aber was natürlich total fehlt, das ist das Unterwegssein in der Stadt und die realen Treffen mit Kooperationspartnern. Das sind alles Termine, über die ich mich jedes Mal freue, wenn ich sie persönlich wahrnehmen kann. Und die passieren jetzt eben anders oder gar nicht. Diesen Austausch vermisse ich sehr, auch wenn vieles aus der Entfernung geht.

Viele Konstanten in meinem Job sind nicht mehr da. Es gibt viele Veränderungen – so haben wir jetzt einen viel digitaleren Output als vorher, und im Heft fallen ganze Bereiche weg. Wir sind ja ein sehr eventgetriebenes Medium, aber es gibt keine Veranstaltungen mehr. Dafür tun sich – auch inhaltlich – andere Dinge auf.

Aber natürlich vermisse ich die Kultur. Das ist ja nicht nur ein Verlust in der privaten Freizeit, sondern toller Teil meiner Arbeit, mit vielen Freunden. Das fehlt sehr.

Nora: Thomas, ihr vom Möbelkollektiv macht nicht „einfach nur“ Innenarchitektur. Ihr arbeitet viel im erklärungsbedürftigen Bereich New Work.

Thomas: Korrekt. New Work im Grundbegriff hat damit zu tun, dass Dinge nachhaltig motiviert geschehen, weil man sie wirklich tun will. Also der innere Antrieb, arbeiten zu wollen, mit anderen zu interagieren – das macht den Unterschied zu klassischen Arbeitsbegriffen. Die sind einfach nicht mehr aktuell. Heute verlangen die äußeren Umstände die Bereitschaft, Probleme lösen zu wollen, aber auch Ideen zum richtigen Zeitpunkt mit anderen zu entwickeln. Und diese Art der Arbeit kann nur auf Basis inneren Antriebs geschehen. Das ist für uns New Work. Und: Das ist vor allem auch effektiv und macht deswegen Sinn!

Nora: Warum ist direkter Austausch dafür so relevant?

Thomas: Weil in unseren Augen 1+1 im Idealfall mehr als 2 ist. Man kann alleine super performen, aber ein Projekt wirklich abheben lassen, das geht nur, wenn Leute am richtigen Punkt Einfluss nehmen. Was uns derzeit abgeht, sind die größeren Veranstaltungen, die zu Interaktionen auf den verschiedensten Ebenen führen. Wir haben hier im Möbelkollektiv zum Glück noch immer viel Austausch und können den auch remote aufrechterhalten. Einfach, weil wir das vorher über Home Office auch schon immer flexibel gehalten haben. Aber der Wegfall des Austauschs im größeren Format ist gesellschaftlich gesehen katastrophal.

Nora: Im Kontext New Work gibt es die Begriffe des agilen Büros, des Kulturbüros und des lernenden Büros …

Thomas: Agil bedeutet, entsprechend der Situation zu handeln. Dass man in Projekten schnell agieren, motivieren, reagieren kann und kreativ an Themen arbeitet. Für uns ist das immer situations-bezogen und individuell. Das Kulturbüro hat den synergetischen Effekt, der uns gerade in vielen Bereichen leider fehlt. Der Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen, Einstellungen und Ideen findet derzeit aufgrund der Situation viel zu wenig statt.  Beim lernenden Büro geht es darum, eine Begegnungsfläche gleichzeitig zum Zweck wachsender Qualität zu nutzen und dort zu lernen – auf Basis der Projekte und des Austauschs, der passiert.

Nora: Lampe, ihr habt die Idee, euer Büro ganz zu umzudenken.

Lampe: Wir haben ein Hinterhofhäuschen, das sehr charmant ist, aber von uns zu wenig genutzt wird. Der ursprüngliche Plan war, eine Bürogemeinschaft zu installieren. Aber eigentlich ist es für uns spannender, das viel diverser zu nutzen. Wir wollen Raum für Incentives schaffen, wollen Durchlauf, vielleicht sogar „Publikumsverkehr“. Ich hatte Thomas auch schon mal eingeladen, um gemeinsam zu überlegen, wie man das Büro verändern könnte. Das war zunächst eine reine Gestaltungsfrage, aber mittlerweile ist es zur konzeptionellen Frage geworden: Was wollen wir denn überhaupt mit dem Büro machen und was macht für uns Sinn? Wie wollen wir darin arbeiten? Wie häufig wollen wir denn überhaupt noch im Büro sein? Was machen wir mit den Flächen, die wir gar nicht brauchen? Das ist für mich auch die Gesamtklammer hier bei unserem Gespräch: Was gibt es denn überhaupt für Möglichkeiten und warum sind die für uns und unser Büro interessant? Und: Wie könnten andere „Büro-Verantwortliche“ davon profitieren, wie wir mit dem Möbelkollektiv unser Büro umdenken.

Nora: Was schwebt dir vor?

Lampe: Ich will das curt-Büro nicht nur als Arbeits- und Begegnungsfläche, sondern auch als Ort erlebbar machen. Im Moment sind wir ja vor allem mal Medium. Nun basteln wir an unserer kleinen curt-Welt, an der man teilhaben kann.

Nora: New Work wirft ja ganz grundlegende Fragen auf: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Wie kann Arbeit in Zukunft menschlich und nachhaltig sein?

Thomas: Wir wollen Teil einer individuellen Lösung sein, die zu individuellen Arbeitsorten führt. In der Praxis – wie hier beim curt-Büro – bringen wir Dinge mit ein, die wir in den Jahren als Erfahrungen in unseren Projekten gesammelt haben. Und es werden natürlich auch aktuelle Erkenntnisse einfließen, wie z.B. zum Home Office. Aber es ist immer eine individuelle Angelegenheit, deswegen ist es wichtig zu wissen, wo curt seine Prioritäten setzt. Und der Bereich, in dem sich das Ganze dann abspielt, ist vom Rahmen her ja vorgegeben, aber in der Fläche sehr flexibel bespielbar – etwa in eine der drei Büro-Richtungen, die wir schon angesprochen haben.

Lampe: Wir hatten Thomas gefragt, ob es Sinn macht, komplett auf ein Büro zu verzichten. Das war so der erste Impuls und irgendwie scheint das ja auch ein aktueller Weg, nur noch im Home Office zu arbeiten und sich vielleicht irgendwo im Coworking zu treffen. Da hat mich Thomas korrigiert: „Man braucht grundsätzlich einen sinnvollen kollegialen Austausch, also muss man auch gemeinsamen Flächen haben.“ Zumindest bei dem, was wir machen. Bei uns laufen im Büro viele Dinge zusammen, die zu etwas werden, weil wir darüber in den direkten Austausch gehen. Ich hätte also gerne ein Büro, in dem wir in der intensiven Produktionszeit gemeinsam vor Ort arbeiten und uns in den übrigen Zeiten aussuchen, wo wir arbeiten wollen. Und gleichzeitig will ich curt erlebbarer machen – z.B. durch Lesungen und andere Events. Gerne auch bei uns im Büro, zuhause bei curt. Das macht das Möbelkollektiv ja ähnlich: Da wird ein tolles Umfeld geschaffen, in das Gäste gerne kommen und dabei intensiviert sich die Verbindung zu den Freunden und Kunden. Bei uns im Büro wird es aber auf jeden Fall trashiger. [lacht]

Thomas: Das, was du Trash nennst, nennen wir Style. Der muss individuell und so sein, dass man sich im eigenen Büro zuhause fühlt. Dass man mit anderen an diesem Ort gerne gemeinsam arbeitet. Das macht ja gerade auch die Effektivität eines positiv erlebten Raumes aus. Wichtig ist aber beides: Dass man andere im Büro besucht und dass man selbst besucht wird. Da kommen ganz unterschiedliche Ergebnisse raus und beides ist sinnvoll.

Lampe: Stimmt. Ich bin für curt ja viel unterwegs. Es macht einen großen Unterschied, ob ich zu Gast bei anderen bin, oder ob die zu uns kommen. Die Leute finden es auch spannend zu sehen, wie und wo wir arbeiten. Das baut dann eine ganz andere Bindung auf.

Thomas: Das ist auch eine Frage des Vertrauens, die auf euren authentischen Ausdruck baut und quasi unterbewusst prüft, ob das, was ihr sagt, zu dem passt, was den Leuten emotional entgegenkommt. Und wenn das in Übereinstimmung zu bringen ist, dann entsteht Vertrauen und die richtige Art von Kommunikation – und am Ende das wertige Ergebnis. Im Grunde ist das wie Mathematik: banal. [lacht]

Nora: Raum schafft also Verbindungen und Raum hat auch immer das Potenzial zur Identität. Indem Leute in diesen eingeladen werden, werden sie auch zur Teilhabe eingeladen?

Thomas: Ja, das sollte man auf keinen Fall unterschätzen. Das ist ja Teil des Selbstverständnisses, des Selbstbewusstseins, und das macht natürlich was mit der Art des Gesprächs. Du fühlst dich in der Umgebung dann auch als der, der du wirklich bist. Anders, als wenn du in Räumlichkeiten bist, in denen für dich gar nichts stimmt, oder in denen du etwa nur Machtdemonstration wahrnimmst. Und darum geht es: Um die entsprechend passende Struktur für das, was dort stattfindet und die Emotion dazu – für das gute Ergebnis.

Nora: Was sind jetzt die nächsten Schritte für euch?

Lampe: Wir werden jetzt mal abklopfen, wie das Büro für uns Sinn macht. Über den psychologischen Aspekt, was es denn mit Menschen macht, wenn die zu uns ins Büro kommen, muss ich nachdenken. Wo das Projekt hingeht, das hängt auch von der Beratung des Möbelkollektivs ab. Ich habe schon eine gewisse Vision, aber kann da noch gar nicht sagen, ob das sinnvoll ist.

Mein Grundgedanke bei dem Ganzen ist ja nicht nur, das curt-Büro zu verändern, sondern an diesem Prozess auch diese neue CURT Work-Redaktionsstrecke anzuhängen. Die einzelnen New Work-Komponenten, über die wir jetzt im Kontext des curt-Büros stolpern, sollen vieles davon beinhalten. Mit der Strecke wollen wir Möglichkeiten und Ansätze für anderes, hoffentlich besseres Arbeiten aufzeigen. Was wir dann davon wirklich umsetzen und was passiert – das ist und bleibt ein agiler Prozess. [lacht]

Thomas: Das, was du da jetzt beschrieben hast, Lampe, ist ja eine gemeinsame Reise. Wir werden uns in der ersten Phase immer damit beschäftigen, welche Prioritäten wichtig sind. Was soll funktional bei euch passieren? Was soll mit anderen zusammen dort passieren? Was wollt ihr womit ausdrücken? Wen wollt ihr erreichen? Und wie sind die äußeren Parameter?

Das fließt alles ein in die Konzeption, die dann gemeinsam entsteht. Ich finde es spannend, dass wir mit dieser Reise eine gewisse Zeit verbringen und man das wachsen lässt. Denn gerade derzeit gilt es, genau hinzugucken, welche Art von Arbeit zukünftig noch relevant sein wird. Damit beschäftigt sich das Möbelkollektiv intensiv. Denn: Home Office und all diese derzeit brisanten Themen sind nur Unterpunkte. Eigentlich geht es ganz grundsätzlich darum, uns zu fragen, welchen guten Grund es zukünftig noch für das Modell Büro gibt. Und welchen noch besseren Grund für euer curt-Büro.

Lampe: Unsere Büromaus Charlie ist gestorben – wir brauchen also dringend neue Gründe. Und: Hatte ich schon von der Artist Residency gesprochen, die wir gerade anbieten?

Thomas: Beides gute Ansätze – da bleiben wir dran.

 

 

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