Für mehr Reparaturkultur! FabLab & Co. – Das Möbelkollektiv im Gespräch mit Jürgen Müller

Keine schönen Schlagzeilen waren es unlängst für die Innovations- und Nachhaltigkeitsschmiede FabLab Region Nürnberg e.V. Ein medialer Hilferuf auf vielen Kanälen. »Dem FabLab geht´s finanziell nicht gut« – so ist es Anfang April auf der Homepage nachzulesen. Die Pandemie nagt – und das FabLab sieht sich politisch einem ganz ähnlichen Schicksal ausgeliefert wie unzählige andere Kreative und Kreativorte, die nicht in Corona-Hilfe-Schemata passen – oder denen zwar zügig Hilfe versprochen wurde, die aber letztlich nicht, zu wenig oder zu spät ankommt. Und das, obwohl das FabLab gerne hochgelobt wird als »Leuchtturmprojekt« und »Ort der Ideen«. So richtig systemrelevant und deshalb erhaltenswert scheint es für die Politik dann aber doch nicht zu sein.

Gelebtes Beispiel für Nachhaltigkeit

Und das, obwohl das FabLab ein gelebtes Beispiel ist für vieles, was global gesehen existenziell zukunftsträchtig wäre und zugleich in unserer Gesellschaft sträflich zu kurz kommt: Nachhaltigkeit, Innovation, Kooperation, Kreativität, Upcycling.

Wir plädieren daher: Für mehr Reparaturkultur!

Weil die Schonung von Ressourcen auch bei uns im Möbelkollektiv wichtige Grundlage der Konzepte ist – lebenswerte Arbeitsorte lassen sich für uns einfach nicht anders denken als nachhaltig – haben wir die Ereignisse rund um das FabLab jetzt zum Anlass genommen, tiefer in die Thematik einzusteigen. Und Jürgen Müller um ein Gespräch gebeten.

Jürgen Müller

Denn: Nachhaltigkeit ist Jürgens Thema. Er ist unter anderem Digital Marketing Manager und Berater bei Silbury, deren Leitspruch nicht umsonst Nachhaltigkeit durch Digitalisierung ist. Mit dem Möbelkollektiv ist er außerdem auch an der Gestaltung der Workey App beteiligt. Die App steckt gerade mitten in der Entwicklung und soll Unternehmen die Möglichkeit an die Hand geben, die eigenen Strukturen und Prozesse entlang solcher Kriterien zu prüfen, zu reflektieren und zu verbessern, die den Menschen (zurück) ins Zentrum des Arbeitens stellen. Das Stichwort dabei eben: Lebenswerte Arbeitsorte. Ansätze Neues Arbeitens. Auf Nachhaltigkeit und Kooperation ausgerichtetes Arbeiten an entsprechend gestalteten Arbeitsorten.

Aber was macht Nachhaltigkeit im Kern eigentlich aus?

Für Jürgen: »Nachhaltigkeit richtet Handeln so aus, dass nachfolgende Generationen die gleichen Möglichkeiten haben, den Lebensstandard haben zu können, den wir selbst haben wollen.« Im Angesicht von Ressourcenknappheit bei gleichzeitiger Verschwendung in globalem Scale ist ein radikales Umdenken nötig.

Aspekte, die dabei eine große Rolle spielen und in Initiativen wie dem FabLab zentral sind: Reparieren statt bloß Konsumieren und Wegwerfen. Selbst kreativ werden und etwas neu schaffen oder anders kombinieren aus Altmaterialien – Stichwort Upcycling.

Für mehr Reparaturkultur!

Wir brauchen eine Reparaturkultur. Eine, die sich gegen die geplante Obsoleszenz im modernen Produktdesign, stellt. Und da geht es um weit mehr als nur um das Erlernen technischer Fähigkeiten oder mechanischer Skills. Eine ReparaturKULTUR macht Spaß. Sie lehrt uns die Freude daran, Dinge länger oder wiederzuverwenden. Sie lehrt uns auch eine neue Wertschätzung von Produkten.

Vom Wegwerfartikel zum WERTartikel.

Initiativen wie das FabLab sind dafür genau die passenden Orte. Entwicklungsort potentieller Langlebigkeit, die zugleich zum Treffpunkt gelebter Nachhaltigkeit werden. Hier wird repariert, ausgetestet, ausprobiert, erfunden, Wissen generationsübergreifend weitergegeben, hier wird gelernt, gescheitert und triumphiert. Die ganze Spannbreite menschlicher Vita Activa, wie Hannah Arendt den grundsätzlich menschlichen Drang zum Aktivsein, zum aktiven Tun (statt nur zum passiven Konsumieren) bezeichnete, findet hier Raum.

Und das soll nicht systemrelevant sein? Wir wagen einfach mal, genau das Gegenteil zu behaupten!

Denn: Letztlich geht es in der Diskussion um Nachhaltigkeit um nicht weniger als um die Frage nach dem guten Leben. Wie wollen wir leben? Und welches Erbe wollen wir nachkommenden Generationen hinterlassen?

Ein wichtiger Schritt wäre hier, so Jürgen Müller, Initiativen wie das FabLab sichtbarer zu machen. Mehr ins Zentrum zu rücken. Vielleicht sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Warum nicht FabLabs in die Fußgängerzonen? Gerade jetzt, wo sich die Innenstädte pandemiebedingt massiv ändern. Warum nicht aus den Innenstädten, die Hochsicherheitszonen der Konsumkultur sind, Begegnungsflächen von Kreativ- und Reparaturkultur machen?

Ein wichtiger Schritt wäre auch, FabLabs direkt in Bildungsräume, etwa in Schulen, zu integrieren. Kreativ- und Reparaturkultur zu institutionalisieren.

Nachhaltigkeit in die Wohnzimmer

Und er spinnt die Ideen noch weiter, bis in den privaten Bereich: Warum nicht Werkstätten mitten hinein in die Wohnzimmer? Derzeit sind Werkstätten im privaten Bereich meist verbannt an den Rand der Lebensräume – in Kellern, Garagen oder auf Dachböden. Als wäre Reparieren, Tüfteln, Ausprobieren etwas, das man nur verschämt in schummrigen Nebenzimmern betreiben dürfte.

Wer was auf sich hält, der wirft weg und kauft neu. Und der, der am meisten wegwirft, hat (Status) gewonnen. Diese Logik ist nicht nur ressourcenzerstörend, sondern auch sozial ungerecht.

Ein Umdenken ist notwendig. Allerspätestens seit Bewegungen wie Fridays for Future sollte niemand mehr ernsthaft leugnen können, dass die Generationengerechtigkeit kein abstraktes Philosophiegebilde ist, das in Elfenbeintürmen erdacht, sondern ein brennendes Anliegen, das auf der Straße eingefordert wird.

Durch mehr Sichtbarmachung und Institutionalisierung von Initiativen wie dem FabLab haben wir also weitaus mehr zu gewinnen also nur eine Reparaturkultur, die wirklich nachhaltig ist. Wir gewinnen neue Kreativität, komplexes Denken, Problemlösungsfähigkeiten. Und vor allem: Wir gewinnen ein Miteinander in Kooperation und Austausch, das nicht nur den Dingen selbst ganz neue Wertschätzung entgegenbringt und damit auch unseren Umgang mit diesen grundlegend ändert. Sondern auch dem jeweils Anderen und zukünftigen Generationen. So schafft Reparaturkultur Humankultur im eigentlichen Sinne. Und bereitet den Boden für eine moderne Zusammenarbeit!

Foto: Pixabay / Jürgen Müller

 

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